Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten

Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott

Zu mir nach Hause kommt nur wenig Post. Also ich bekomme wirklich wenig Post. Das Meiste, was im Briefkasten landet, beinhaltet Werbung. Weil ich selbst »irgendwas mit Medien« arbeite, interessiert mich das weniger, in privaten Haushalten landet oft der »Abfall« der Werbeindustrie. Wandert folglich sehr direkt in die Papiertonne. Selbst Pizza-Flyer kommen mir nicht in die Bude, da müsste ich schließlich Kontakt zu Menschen aufnehmen.

Im März bekam ich von Unbekannt ein Blatt von einem christlichen Abreisskalender. Ich fand das halbwegs amüsant, denn Bekehrer meinen es eben auch nur gut, und mich wollte man in der Vergangenheit auch bereits das eine oder andere Mal bekehren. Entweder wegen meiner Sexualität, meines Fleischkonsums, meines Nicht-Fleischkonsums oder meiner Krankheit. Und wegen meines Nicht-Glaubens an Gott.

Gestern fiel wieder ein Blättchen aus dem Briefkasten. Bunt, schöne Zeichnungen, Menschen jeglicher Hautfarbe und jedes Alters, die glücklich und zufrieden über eine grüne Wiese mit hohem Gras laufen – das Leben kann so schön sein. So ziemlich jeder Mensch hat schon ein mal solch einen Flyer bekommen, von dem jeder auch direkt weiß, von welcher Organisation er kommt. Ich nenne solche Nachrichten mittlerweile »Post von oben«. Dieses Mal luden sie zu einem herrlichen Fest ein. Die Titelzeilen sind so einfach und auch perfide formuliert, dass so ziemlich jeder Mensch darauf anspringt:

»Frieden, Gesundheit und echtes Glück«

Und darunter:

»Wünscht sich das nicht jeder?«

Das ist eine Frage, bei der die meisten Menschen ins Schmachten, Schwärmen und Nachdenken geraten. Oder Brechreiz bekommen, so wie ich. Wobei das wohl eher ein Bedürfnis nach körperlicher Entspannung ist als Reaktion auf geistige Diarrhoe. Natürlich wünscht sich jeder Mensch all das. Frieden, Gesundheit und echtes Glück. Müssen kirchliche Organisationen dazu jedoch hochwertig gedruckte Flyer an alle Haushalte verteilen und sie dazu einladen, an einem Dienstag irgendwo hinzupilgern, damit diese sich dann die Überzeugungen christlich-patriotischer Menschen anhören und hinterher wie zu Hippie-Zeiten mit Love and Peace um sich werfen? Nun, ich steigere mich in etwas hinein, das von Außen her betrachtet nichtig ist. Weil ich mich angegriffen fühle. Habe ich die letzten Tage und Wochen doch damit verbracht, in mir selbst aufzuräumen und bei einer Freundin reinen Tisch zu machen, die sich genau das Gleiche für mich wünscht; nämlich dass ich auch endlich ein mal glücklich bin. Sie würde mich am liebsten mit Partnerin sehen, damit sie mich zu guter Letzt auch glücklich sehen kann, weil sie der Überzeugung ist, mein Glück hinge von dem Vorhandensein einer Partnerschaft ab. Doch das ist ein anderes Thema.

So habe ich gestern Abend wirklich ein paar Minuten über Sinn und Unsinn solch eines Faltblatts nachgedacht, viel mehr noch über dessen Botschaft, und kam zu folgendem Ergebnis:

  1. Frieden lässt sich nur erreichen, wenn alle Menschen auf dieser Erde wirklich danach streben und es nicht nur vorgeben. Ich bin froh, in einem Land zu leben, wo Frieden herrscht.
  2. Gesundheit ist eine Definitionssache. Körperlich bin ich gesund, psychisch nicht. Und ich kann mal mehr, mal weniger gut damit leben.
  3. Echtes Glück, davon haben die meisten Menschen auch sehr unterschiedliche Vorstellungen. Ich bin zufrieden mit meinem Leben, aber nicht glücklich. Zum Glücklichsein fehlt noch Einiges. Möglicherweise auch eine Partnerin, ja. Lässt sich nur nicht erzwingen. Ich denke, ich wäre ansatzweise glücklich, wenn ich mein Kopfchaos für länger als ein paar Wochen im Zaum halten kann – weil ich dann sehe, es ist möglich.

Ich brauche niemanden und schon gar keine Institutionen, um zufrieden zu sein. Oder glücklich. Das werde ich nur in und mit mir selbst finden. Ich bin recht zufrieden mit meinem Leben, allerdings in einer komplizierten und unglücklichen Beziehung mit mir selbst. Daran arbeite ich. Mithilfe lieber Freunde – und ohne Gott.

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