In jedem erwachsenen Menschen steckt tief in seinem Inneren das »innere Kind«. Die meisten haben noch eine Verbindung zu ihm, ob sie es wissen oder nicht. In der Entstehungsgeschichte der Krankheit heraus stellten einige schlaue Psychologen fest, dass gerade Menschen mit Persönlichkeitsstörungen den Bezug zu ihrem kindlichen Ich teilweise verlieren. Gefühle aus der Kindheit werden vereinzelt oder sogar vollständig abgekapselt. Beim Erwachsenen zeigt sich das in unterschiedlichen, extremen Reaktionen sowie Verhaltensweisen. Soweit, so gut.

Hin und wieder sage ich im Scherz, dass meine zahlreichen inneren Persönlichkeitsanteile eine wilde Party feiern, ohne mich dazu eingeladen zu haben. Die aktuelle Party schickt derzeit wieder Grüße ans Tageslicht, was mir so gar nicht in den Kram passt. Denn irgendwo dazwischen hockt das Kind und ist heillos überfordert mit Reizen und Eindrücken, völlig überflutet von negativen Gefühlen. Mal genügt ein elektronisches Bild, ein anderes Mal ein ungesprochenes Wort, um das Chaos ausbrechen zu lassen. Dummerweise bekommen das logischerweise genau die Menschen mit, zu denen der Kontakt am häufigsten gepflegt wird. Die meisten bringen Verständnis auf, andere wiederum finden es furchtbar.

Stimmt. Das ist furchtbar. Ich weiß, dass ich furchtbar bin.

Typische Reaktion. Sehr, sehr typisch. Dabei hatte ich im vergangen Monat doch so schön die Kurve bekommen. Gestern Abend habe ich mich kritisch selbst reflektiert. Und beschlossen, dass ich – wie auch immer das aussehen soll – etwas mehr in Kontakt zu meinem verletzten inneren Kind aufnehme, dass mein erwachsenes Ich etwas mehr Erziehungsarbeit leisten muss. Es ist nicht nur verletzt, sondern schämt sich auch, ist gekränkt, voller Schuldgefühle.

Wesentlich einfacher gestaltet sich Krisenmanagement, wenn es am realen Objekt vollzogen werden kann. Da ich jedoch schlecht mein inneres Kind aus mir herausziehen kann wie ein Zauberer ein weißes Kaninchen aus seinem Zylinder, muss ich da irgendwie anders vorgehen.

In der Maslowschen Bedürfnispyramide stehen ganz unten die Grundbedürfnisse eines jeden Menschen: körperliches Wohlbefinden, essen, trinken, schlafen. Okay, um essen, trinken und schlafen kümmere ich mich seit ein paar Tagen wieder ganz bewusst – weil diese Dinge »sehr gerne« auch mal auf der Strecke bleiben. Ich füttere das Kind, gebe ihm zu trinken und sorge für viel Schlaf.

Auf der nächsten Stufe der Pyramide stehen Sicherheitsbedürfnisse wie materielle, berufliche Sicherheit und Wohnen. Gut, ich gehe jeden Tag arbeiten, verdiene Geld damit und bezahle meine Wohnung, in der ich jetzt auch regelmäßiger für Ordnung sorge.

An dritter Stelle folgen die sozialen Bedürfnisse. Uuuuuuh. Schwieriges Pflaster. Freundschaft, Liebe und Zugehörigkeit. Hier gerate ich ehrlich gesagt ins Straucheln. Derzeit sehe ich mich in der verzwickten Situation, eine Freundschaft aus Gründen des Selbstschutzes ein wenig »schweigen« zu lassen. Wenngleich ich gerade diese Freundschaft sehr schätze, wenngleich ich diese Freundin wirklich liebe – da liegt auch schon der Kasus knacksus, die Bindung ist sehr eng – muss ich hier hin und wieder einen Riegel davor schieben. Gerade dann, wenn sich in ihrer Lebenssituation etwas auf der partnerschaftlichen Ebene zu ändern scheint. Mein inneres Kind kommt damit nicht zurecht. Ich weiß nicht ein mal genau warum. Mittlerweile bin ich zum Glück sehr klar in meinem Standpunkt: Es ist ok, wenn und dass sich etwas ändert, das hat nur wenige Auswirkungen auf die Freundschaft. Nur das Thema an sich wühlt – leider – immer noch zu viel in mir auf. Wir können dann auch nicht mehr wirklich miteinander reden; vermutlich ist bei ihr dann doch die Geduld überschritten oder kein Verständnis mehr vorhanden, und mich kostet es sehr viel Energie, meinen Zustand so verständlich zu erklären, dass sie es halbwegs verstehen kann. Folglich herrscht seit ein paar Tagen wieder Funkstille, was an sich nicht dramatisch ist. Ich brauche den Abstand. Um es kurz auszudrücken: In dieser zwischenmenschlichen Beziehung habe ich gleichzeitig Alles und auch Nichts. Das klingt ein wenig nach Schrödingers Katze. Ich darf nur nicht daran zweifeln, dass sie existiert und real ist. Keine Verlustängste haben oder sonst etwas in der Art. Auf der partnerschaftlichen Ebene der Liebe lautet meine Einstellung »status quo« – weder suche ich, noch möchte ich gefunden werden. In erster Linie möchte ich besser mit mir selbst zurecht kommen, um mich überhaupt für etwas Neues zu öffnen bzw. öffnen zu können. Fest steht jedoch, dass das definitiv nicht hier in meinem aktuellen Wohnort und Bundesland passieren wird. In dieser Region erscheint es mir schier unmöglich. Nicht allein der Auswahl wegen, sondern aufgrund der Tatsache, dass ich hier zu ge- und befangen bin, dass die Nähe zu einem anderen Menschen viel zu innig ist, als dass ich mich allein durch den Zeitfaktor von ihr lösen könnte.

Die Maslowsche Bedürfnispyramide besteht aus fünf Ebenen, auf den unteren drei bewege ich mich. Wertschätzung und Selbstverwirklichung – bis dahin ist es noch ein langer Weg. So lange werde ich meinem inneren Kind etwas mehr Aufmerksamkeit widmen, es erziehen, in den Arm nehmen, maßregeln und eventuell auch mal härtere Bandagen anlegen müssen, damit aus ihm ein großer, starker, vor allen Dingen selbstbewusster Mensch wird, der ich noch nicht bin.